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Olympia 2022

«Nie mehr China» – es drohen die nächsten olympischen Bauleichen

A worker shapes the kicker at the Big Air Shougang ahead of the 2022 Winter Olympics, Tuesday, Feb. 1, 2022, in Beijing, as the old cooling towers of a steel plant stand in the city's former indu ...
Die Bir-Air-Schanze in Shougang wird permanent stehen bleiben. Ob sie auch genutzt wird?Bild: keystone

«Nie mehr China» – es drohen die nächsten olympischen Bauleichen

Milliarden werden für Olympische Spiele in topmoderne Wettkampfstätten investiert, die nur zwei Wochen lang gebraucht werden. Auch in Peking werden viele Bauleichen zurückbleiben.
22.02.2022, 10:5422.02.2022, 16:27
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Leuchttürme wurden in vergangenen Zeiten gebaut, um Schiffe vor gefährlichen Gestaden zu warnen. Die meisten erfüllten Jahrhunderte lang treu ihren Zweck. Heutzutage sollen Leuchttürme im übertragenen Sinn vor allem Aufmerksamkeit generieren und Leute anlocken.

Ein solcher steht in den Bergen von Zhangjiakou, während der eben zu Ende gegangenen Spiele von Peking das Herz des Schneesports. Von weit her leuchtet das Oval auf der Spitze der Skisprung-Schanzen einem Ufo gleich über das Tal. Selbst zwei Tage nach den letzten Wettkampf-Sprüngen strahlte es hell durch die Nacht. Man ist in China stolz auf das eindrückliche Bauwerk, Energie sparen ist da zweitrangig.

Die Skisprung-Anlage in Zhangjiakou soll rund 60 Millionen US-Dollar gekostet haben.
Die Skisprung-Anlage in Zhangjiakou soll rund 60 Millionen US-Dollar gekostet haben.Bild: keystone

120 Kilometer weiter südlich in Yanqing schlängelt sich die modernste, komplett überdachte Bob-Bahn der Welt einem Drachen gleich ins Tal. Am besten lässt sie sich aus einer Gondel betrachten, die ins nationale alpine Skicenter in den Xiaohaituo-Bergen führt. Es sind drei der Leuchttürme, die für die ersten Winterspiele im bisher kaum Wintersport-affinen China erstellt wurden – und deshalb längerfristig kaum gebraucht werden.

Das Yanqing National Sliding Centre sieht ziemlich futuristisch aus, wird nach Olympia aber kaum mehr gebraucht.
Das Yanqing National Sliding Centre sieht ziemlich futuristisch aus, wird nach Olympia aber kaum mehr gebraucht.bild: imago-images.de

Athen und Rio als Mahnmal

Die Bilder der verfallenden, von Unkraut überwucherten Stätten der Sommerspiele von 2004 in Athen, deren Kosten Griechenland fast in den Bankrott trieben, sind ein trauriges Mahnmal für die fehlende Nachhaltigkeit sportlicher Grossanlässe. Viele der Austragungsorte von Rio de Janeiro 2016 sind bereits nach weniger als sechs Jahren nicht mehr zu gebrauchen – weil das Geld für den Unterhalt fehlt und vor allem, weil sie eben gar nicht mehr gebraucht werden.

Das wurde aus den Wettkampfstätten von Rio 2016

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Das wurde aus den Wettkampfstätten von Rio 2016
Das Olympic BMX Centre von Rio hat definitiv schon besesere Tage gesehen – eine Fotoaufnahme vom Juli 2021.
quelle: keystone / antonio lacerda
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Die Finanzen dürften in China das kleinere Problem sein. Genaue Zahlen zu den Kosten der Spiele von Peking sind schwer zu erhalten. Wer nachfragt, wird mit der – lächerlich tiefen – Zahl von 3,9 Milliarden Dollar abgespeist. Experten gehen von einem bis zu zehnmal so hohen Betrag aus. Umstritten ist dabei, ob Infrastruktur-Kosten wie der Ausbau der Autobahn oder die Konstruktion eines Hochgeschwindigkeits-Zugs in die Berge den Olympia-Kosten zugeschlagen werden sollen. Immerhin besteht die Chance, dass sie mittelfristig zu mehr Besuchern in den Hotels und Skigebieten führen. Ein erklärtes Ziel Chinas bei der Ausrichtung der Spiele ist die Förderung des Winter-Tourismus unter der eigenen Bevölkerung.

Unbestritten ist, dass die Ausgaben für Skisprung-Schanzen, Eiskanal und Abfahrts-Strecken kaum je rentieren werden. Es sind Anlagen, die sich für den Breitensport nicht eignen und für Sportarten, in denen Chinesen auch nach sechs Jahren intensiver Olympia-Vorbereitung international nicht konkurrenzfähig sind.

Was die einzelnen Sportstätten kosteten, ist kaum zu verifizieren. Es dürften jeweils mehrere hundert Millionen sein. Die Skisprung-Anlage soll im Sommer als Fussballstadion und für Grasski genützt werden. Insgesamt droht den Sportstätten aber das gleiche Schicksal wie in Sotschi (Spiele 2014) oder Pyeongchang (2018). Sie werden nicht mehr gebraucht, schon gar nicht in diesen Dimensionen.

Ein logistischer Albtraum

«Es ist sehr wichtig, künftig Weltcups und Weltmeisterschaften in diesen prachtvollen Sportstätten auszutragen», sagte der Schweizer IOC-Olympiadirektor Christophe Dubi. Es dürfte ein frommer Wunsch bleiben, denn die Sportler sehen das ganz anders. «Nie mehr China», meinte die dreifache Schlittel-Olympiasiegerin Natalie Geisenberger nach ihrer Abreise.

«Wer kommt auf die Idee, an einem so kalten und windigen Ort Biathlon-Wettkämpfe durchzuführen?», fragte sich der Schweizer Benjamin Weger. «An sich haben sie da schon eine coole Strecke gebaut», lobte die deutsche Abfahrts-Vierte Kira Weidle. «Aber die Reise ist natürlich schon extrem, das braucht man jetzt nicht unbedingt in einem eh schon sehr engen Weltcup-Kalender.»

Das zeigt ein Problem in den meisten Winter-Sportarten auf. Der Kalender ist bereits vollgepackt und stark auf Europa und – zum Teil – Nordamerika ausgerichtet. Die Schweiz musste bereits hart kämpfen, um mit der neu gebauten Anlage in Lenzerheide in den Biathlon-Weltcup aufgenommen zu werden. Bis 2026 sind sämtliche Weltcup-Orte bereits fixiert. Logistisch wäre ein China-Abstecher ein Albtraum, und von staatlicher Stelle ist das Interesse nach den – aus ihrer Sicht – erfolgreichen Winterspielen kaum mehr gross.

Keine Spur von Nachhaltigkeit

Offiziell sollen die Wettkampfstätten in erster Linie als Trainingsbasis für chinesische Spitzensportler dienen. «Mit diesen idealen Anlagen springen die Chinesen in zehn Jahren vielleicht vorne mit», gibt sich der vierfache Olympiasieger Simon Ammann vorsichtig optimistisch. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass die staatliche Unterstützung für den Winter-Spitzensport nun wieder deutlich reduziert wird.

epaselect epa09726835 A general view of the ski slopes of the alpine skiing venue during the 2nd training run for the Men's Downhill race of the Alpine Skiing events of the Beijing 2022 Olympic G ...
Die Pisten in Yanqing müssen auch für Trainingsfahrten aufwendig beschneit werden. Ob das geschieht, bleibt fraglich.Bild: keystone

In den Eis-Sportarten wie Shorttrack oder Curling können sich die Chinesen vielleicht langfristig im Spitzenfeld halten, im Schnee, wo sie es selbst auf die Heimspiele ausser im Freestyle-Bereich nicht hinbekommen haben, dürfte sich dies kaum ändern. Und so werden aus den Leuchttürmen wohl auch hier Olympia-Leichen. (pre/sda)

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Die Austragungsstätte der Olympischen Spiele 2022 in Peking
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Die Austragungsstätten der Olympischen Spiele 2022 in Peking
Nationalstadion, Peking – Eröffnungs- und Schlussfeier (Kapazität: 80'000).
quelle: keystone / roman pilipey
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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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c-bra
22.02.2022 11:55registriert April 2016
Ach, diese Orte können doch in Zukunft noch von Influencern als "Lost Place" Fotomotiv genutzt werden. Und Galileo schaut bestimmt auch mal rein, so als erstes deutsches Fernsehteam nach Olympia. Dann hat sich das ja schon fast gelohnt.

\ironieoff
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En Espresso bitte
22.02.2022 11:45registriert Januar 2019
Hauptsache ist doch wie seit jeher, der Rubel rollt für's IOC ✌
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Mooncat
22.02.2022 12:42registriert Dezember 2015
Ich persönlich finde ja, dass es solche Sportanlässe gänzlich nicht braucht und abgeschafft gehören.
Da ich aber weiss, dass das nie passiert: warum nicht einfach endlich ein Land bestimmen, in dem die Infrastruktur steht und in dem von dort an jede Spiele stattfinden. Entweder ein Land für Sommer- und Winterspiele oder halt je eins. So lohnt sich auch der Unterhalt der Anlagen und die Umweltbedingungen sind für alle Sportler immer gleich.
Das wäre das beste, wenn es denn sein muss.
Aber ja, ja. Weiss. Politisch wird man da nie einen Konsens finden. Seufz. 🙄
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